Persönlichkeitstests bzw. Potenzialanalysen auf dem Prüfstand

12.04.2022

Als Ergänzung und zur Absicherung von Vorstellungsgesprächen setzen zunehmend mehr Führungskräfte und Personalverantwortliche Tests ein. Unter den Tests haben vor allem die Persönlichkeitstests oder auch meist fälschlicherweise Potenzialanalysen genannt, Hochkonjunktur. In diesem Artikel werden Persönlichkeitstests bzw. Potenzialanalysen genauer beleuchtet, um Sie dabei zu unterstützen und Ihnen eine Anleitung zur Auswahl von Testverfahren im Rahmen der Personalauswahl und der Personalentwicklung zu geben.

In den letzten Monaten haben wir, von der managementberatung müllerschön eine Untersuchung zur Verbreitung von Persönlichkeitstests bei der Personalauswahl in Deutschland, Österreich und der Schweiz durchgeführt. Demnach verwenden 56 % der befragten Unternehmen mindestens gelegentlich Persönlichkeitstests bei der Personalauswahl. (das ergibt eine Steigerung von 23 % innerhalb der letzten 10 Jahre (Untersuchung der Universität Zürich in 2021).

Die die mich kennen wissen, dass ich ein Freund von der Verwendung von Tests im Rahmen der Personalauswahl, der Personalentwicklung und Coachings bin. Die meisten verwendeten Tests, sind jedoch für diese Fragenstellungen nicht geeignet.
Deshalb will ich die Qualität und damit auch Praxistauglichkeit der vielen unterschiedlichen Tests differenziert darstellen.

Dieser Artikel ist deutlich länger, als Sie es von mir gewohnt sind.

Die Vielfalt an Tests ist in der Zwischenzeit so groß, dass es oft schwer ist, für die eigene Situation den geeigneten Test auszusuchen. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Persönlichkeitstests, heute oft auch fälschlicherweise „Potenzialanalyse“ genannt werden, wodurch die Irritation perfekt ist. In ersten Teil dieses Artikels verwende ich beide Begriffe als Synonym. Erst später werde ich auf die Unterscheide genau eingehen.

Wie ist der Artikel aufgebaut?
1. Im ersten Schritt prüfe ich anhand von wissenschaftlichen Kriterien, inwieweit die häufigst durchgeführten Tests, diese Kriterien erfüllen.
2. Im nächsten Schritt zeige ich auf, worauf Sie beim Einsatz von Persönlichkeitstests achten sollten bzw. woran Sie erkennen, ob ein Verfahren sein Geld wert ist.
3. Abschließend diskutieren wir die Brauchbarkeit der am häufigsten verwendeten Persönlichkeitstests.

 

1. Erfüllen Persönlichkeitstests die Anforderungen, die Personalverantwortliche an Auswahlverfahren stellen?

Die drei bedeutendsten Kriterien, die eine Aussage über die Qualität eines Auswahlverfahrens machen, sind Validität, Ökonomie und Akzeptanz.

1.1  Zunächst zur Validität von Persönlichkeitstests

Die Validität beschreibt wie „gut“ ein Verfahren das Verhalten auf der zu besetzenden Position vorhersagen kann. In der Personal- und Managementdiagnostik geht es immer darum, Aussagen über eine Person zu treffen, wie sie „wirklich“ ist (Aussage über das sogenannte Selbst). Um dieses Ziel zu erreichen, werden in der Praxis vor allem Selbst- und Fremdbildverfahren verwendet. Persönlichkeitstests sind Selbstbildverfahren. Eine Person wird aufgefordert, sich anhand von unterschiedlichen Aussagen selbst einzuschätzen. Diese Einschätzung kann mehr oder weniger realistisch sein, ist immer „subjektiv“ und hängt vom Selbstbild der Person ab. Danach wird diese Selbsteinschätzung mit der Selbsteinschätzung von anderen Personen verglichen – der sogenannten Vergleichsgruppe oder Norm(stichprobe). Das Ergebnis des Persönlichkeitstests - meist als Profil dargestellt – gibt an, wie weit eine Person in ihrem Selbstbild anderen ähnlich ist bzw. sich von ihnen unterscheidet.
Die Ergebnisse des Persönlichkeitstests sollten sinnvollerweise mit anderen Informationen über die Person verbunden werden und durch Interpretation der Einzelergebnisse zu einem stimmigen Gesamtergebnis führen. Auf Grund der Tatsache, dass ein Persönlichkeitstest immer nur ein Selbstbild ist, raten wir von der alleinigen Verwendung von Persönlichkeitstests als Auswahlverfahren ab (Ausnahme Screening).

Bewährtes ergänzendes Verfahren, das direkt am „Selbst“ ansetzt, ist das „Biographische Tiefeninterview“. Es erhebt die Bedürfnis- und Motivationsstruktur einer Person. D.h. relevant ist weniger, was jemand gemacht hat, sondern vielmehr warum eine Person etwas gemacht hat und wie sie die daraus gewonnen Erkenntnisse im Alltag umsetzt. Bedürfnis- und Motivationsstrukturen sind relativ „stabil“ und können deshalb sehr gut für die Prognose der Zukunft verwendet werden.

Analog zur Grafik 1 erzielt man eine hohe Validität im Auswahlprozess durch ein multimodales Vorgehen, d.h. einer Kombination von Persönlichkeitstest (Selbstbild), biographischer Analyse (Selbst) und Interview (Fremdbild). Wenn möglichst unterschiedliche „Informationsquellen“ ähnliche Ergebnisse bringen (siehe Zielbereich), ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass diese Ergebnisse valide sind.

1.2 Zur Ökonomie von Persönlichkeitstests

Gute Testverfahren erscheinen auf den ersten Blick teuer. Auf den ersten Blick deshalb, da die Preise oft nicht in Relation zu den Folgen einer Fehlentscheidung gesehen werden (bei Fach- und Führungskräften wird für eine Fehlbesetzung mindestens ein Jahresgehalt kalkuliert – ohne dass dabei die Auswirkungen auf Kunden, das Team, auf ggf. verhinderte Innovationen etc. berücksichtigt wurden).

Die Kombination von Persönlichkeitstests bzw. Potenzialanalysen mit anderen Verfahren hat als großen Vorteil eine hohe Validität bei gleichzeitig hoher Ökonomie. Die Anwendung von Persönlichkeitstests bzw. Potenzialanalysen minimiert darüber hinaus den Aufwand für Bewerbungsgespräche. Denn durch die zusätzlichen Informationen des Tests können Fragen gezielter gestellt werden, wodurch der Personal- und Zeitaufwand reduziert wird und die Ökonomie steigt.

1.3 Zur Akzeptanz von Persönlichkeitstests

Die Akzeptanz von Tests bei Auswahlverfahren seitens der Bewerber/innen hat in der Zwischenzeit eine hohe Bedeutung. Geht es für Unternehmen immer mehr darum, dass sie sich im Kontakt mit Bewerber/innen am Markt präsentieren und „die Besten“ für ihr Unternehmen gewinnen wollen. Dabei haben die Kommentare der Bewerber über die Qualität des Bewerbungsverfahrens in den Firmen, die z.B. bei „kununu.com“ kommentiert werden, einen zentralen Einfluss auf das Image der Firmen und damit auf das Bewerberverhalten. Dazu kommt, dass die Nachvollziehbarkeit der Entscheidung seitens der Bewerber/innen möglichst hoch sein sollte. Persönlichkeitstests die für den beruflichen Kontext konstruiert worden sind, erfüllen in der Regel alle Kriterien um inhaltliche Akzeptanz zu erzeugen. Ein wichtiger Schritt zur Akzeptanz liefert die Transparenz des gesamten Bewerbungsprozesses, einschließlich der Rückmeldung der Ergebnisse an die Bewerber/innen. Gleichzeitig kann das Feedback im Zuge eines professionellen Auswahlprozesses für Bewerber/innen für deren persönliche Entwicklung sehr hilfreich sein. Die eingangs gestellte Frage, ob Persönlichkeitstests grundlegend in der Lage sind, die von Personalverantwortliche gestellten Anforderungen an Auswahlverfahren zu erfüllen, kann eindeutig bejaht werden.

 

2. Woran Sie erkennen ob ein Persönlichkeitstest sein Geld wert ist

Bei der Frage, wie brauchbar Persönlichkeitstests im Rahmen des Auswahlverfahrens einsetzbar sind, ist es nötig, sich dem jeweiligen theoretischen- oder dem methodischen Hintergrund beschäftigen.  
Dieser Bereich bildet die Grundlage von Testverfahren und sollte bei der Bewertung eines Persönlichkeitstests als erstes angeschaut werden.

2.1 Theoretischer Hintergrund

Persönlichkeitstests sind meist für die klinische Anwendung oder für die Anwendung im beruflichen Kontext entwickelt worden. Die Verwendung von Persönlichkeitstests im klinischen Bereich hat eine lange Tradition. Das hat dazu geführt, dass Verfahren, die sich im klinischen Bereich bewährt haben, leider auch im beruflichen Kontext eingesetzt werden.

Die Fragestellungen, die theoretischen Modelle und Zielgruppen sind im klinischen Bereich völlig andere als im Bereich der Personal- und Managementdiagnostik.

Auch werden oft allgemeine, teilweise veraltete Persönlichkeitsmodelle und Typologien verwendet, die bestenfalls für den Einsatz in einem Persönlichkeitsseminar zur Sensibilisierung der Frage „Was bin ich für ein Typ?“ geeignet sind, auf keinen Fall aber für die Auswahl von Mitarbeitern und Führungskräften. Eine hohe wissenschaftliche Fundiertheit hilft hier gar nichts - falsch eingesetzt verliert jeder Test bzw. jedes Messinstrument seine Aussagekraft.

2.2 Wissenschaftliche Fundiertheit

Die klassischen Gütekriterien sind Validität und Reliabilität. Es lohnt sich darüber hinaus die Anfälligkeit des Persönlichkeitstests bezüglich „sozial erwünschtem Antwortverhalten“ zu hinterfragen.
Die Validität gibt – zwischen 0 und 1 – an, ob ein Test das misst, was er zu messen vorgibt. Wird z.B. Durchsetzungsvermögen gemessen, so sagt die Validität wie weit die Ergebnisse des Tests mit Ergebnissen von anderen Messungen von Durchsetzungsvermögen übereinstimmen. Am aussagekräftigsten sind daher Validitätsangaben, bei dem das Testergebnis einer Person mit einem „harten Außenkriterium“ z.B. der Einschätzung des Durchsetzungsvermögens durch andere Personen aus dem beruflichen Umfeld verglichen wird.
Die Reliabilität gibt die Zuverlässigkeit – wieder zwischen 0 und 1 - eines Tests an. D.h. in wie weit führen wiederholte Messungen an einer Person zum selben Ergebnis oder wie stimmungsabhängig ist das Ergebnis? Gerade bei der Anwendung von Persönlichkeitstests in der Personalauswahl stellt sich die Frage, ob der Test es dem Bewerber ermöglicht, sich „geeigneter“ darzustellen als er letztendlich ist. Man nennt diese Tendenz sozial erwünschtes Antwortverhalten. Im Unterschied zu dem Faktum, dass die „Realitätsnähe“ der Selbsteinschätzung immer auch vom Differenzierungsgrad des Selbstbilds der Person abhängt und Verzerrungen daher sozusagen „unabsichtlich“ zu Stande kommen, handelt es sich bei der sozialen Erwünschtheit um eine „absichtliche“ Verfälschung der Selbsteinschätzung. Verschiedene Vorgabeformate wie forced choice Vorgabe und „Lügenskalen“, versuchen dem sozial erwünschtem Antworten entgegen zu wirken. Eine größere Sicherheit erreicht man durch multimodales Vorgehen. Verschiedene Informationsquellen werden miteinander in Beziehung gesetzt. Selbstdarstellungstendenzen werden nicht nur erkannt, sondern können inhaltlich fundiert interpretiert werden.

2.3 Vorhandene Normen – die Vergleichspopulation

Ein sehr wichtiges Kriterium ist die verwendete Vergleichspopulation. Da das Ergebnis eines Persönlichkeitstest immer „nur“ ein Vergleich einer Person mit der Vergleichspopulation (Norm) darstellt, ist ein Test nur dann sinnvoll einsetzbar, wenn die passenden Normen vorhanden sind. D.h. wenn ein Persönlichkeitstest für die Abklärung von Führungskompetenz verwendet wird, dann braucht es auch eine Norm für Führungskräfte.

Erfüllt ein Persönlichkeitstest die oben angeführten Punkte, lohnt es sich weitere Kriterien für die konkrete Anwendung zu hinterfragen. Erfüllt er sie nicht, ist vom Einsatz abzuraten.

2.4 Übereinstimmung mit Anforderungsprofil

Persönlichkeitstests sind dann gut einsetzbar, wenn sie beruflich relevante Anforderungen messen. Dabei geht es nicht nur um die Überschrift, sondern stärker um das dahinter liegende Verständnis. Das sollte hinterfragt werden. Wenn Sie z.B. Konfliktfähigkeit bestimmen wollen, sollte Sie überprüfen ob der Persönlichkeitstest unter Konfliktfähigkeit dasselbe versteht wie Sie es in Ihrem Anforderungsprofil definiert haben.

2.5 Vorgabe und Auswertung

Persönlichkeitstest werden am PC vorgegeben und ausgewertet (ist schnell und verhindert Fehler bei der Auswertung). Die Vorgabe und Auswertung über das Internet macht Sie örtlich unabhängig und ist mittlerweile bei fast allen Verfahren möglich. Einige Test bieten verschiedenste Auswertungen und Interpretationen an – doch Achtung: Viel Information ist nicht unbedingt gut. Lassen Sie sich nicht vom Umfang des automatisierten Gutachtens blenden. Es sollte Sie eher wundern, wie es erkenntnistheoretisch möglich sein soll, mit wenigen Items (manchmal nur 24 Items), umfangreiche Gutachten für unterschiedlichste Anforderungsbereiche zu generieren.

2.6 Multimodaler Ansatz

Wir, die managementberatung müllerschön empfehlen, beim Einsatz von Auswahlverfahren Flexibilität walten zu lassen. Persönlichkeitstests sind mit anderen Verfahren gut kombinierbar. Die Fragestellung und Zielsetzung soll im Auswahlprozess vorrangig die Kombination und Gewichtung der Verfahren bestimmen und weniger die Vorlieben und Gewohnheiten der Anwender. Durch die „intelligente“ Verbindung von Persönlichkeitstests mit anderen Verfahren, erreichen Sie ein besseres Verhältnis von Validität und Ökonomie als durch eindimensionales Vorgehen. Am Umgang mit diesem Kriterium können Sie die Qualität von Anbietern gut erkennen. Wenn Ihnen Persönlichkeitstests als alleinige „Allheilmittel“ in der Personalauswahl angeboten werden, ist das zwar sehr verführerisch, spricht aber eindeutig gegen die fachliche Kompetenz des Anbieters. Hände weg! Seriöse Anbieter können verschiedene Wege gehen. Manche bieten Kombinationen von Persönlichkeitstests und Fremdeinschätzungsverfahren an. Das hat den Vorteil, dass Selbst- und Fremdeinschätzung dann vom Verständnis her dasselbe aus unterschiedlichen Perspektiven messen.

2.7 Einsetzbarkeit als Potenzialanalyse

In den letzten Jahren war es zunehmend schick nicht mehr von Persönlichkeitstests, sondern von Potenzialanalysen zu sprechen. Potenzialanalysen erheben den hohen Anspruch, nicht nur über die derzeitige Kompetenzausstattung (vorhandene Fähigkeiten) von Personen Aussagen zu machen, sondern auch über dessen Entwicklungs-Potenzial. Kaum ein Persönlichkeitstest ist jedoch in der Lage, wirklich festzustellen, was genau als unausgeschöpftes Potenzial „in jemanden steckt“. Ganz einfach deshalb, weil sie nicht dafür entwickelt wurden und /oder die verwendeten Messmodelle dafür nicht geeignet sind.
Um dem Anspruch Potenzialanalyse gerecht werden zu können, muss der Persönlichkeitstest bezogen auf den relevanten Anforderungsbereich die Anlagen und Talente einer Person und die daraus bereits entwickelten Kompetenzen und Fähigkeiten messen. Die Differenz von der vorhandenen Anlage und der (aus der Anlage) bereits entwickelten Kompetenzausstattung kann als noch vorhandenes Entwicklungs-Potenzial interpretiert werden. In diesem Kontext muss die weit verbreitete Praxis, Potenziale von Führungskräften in Assessment-Center (AC) zu bestimmen, kritisch kommentiert werden. AC sind Fremdeinschätzungsverfahren und können durch ihren verhaltensorientierten Ansatz bestenfalls Kompetenzen und Fähigkeiten erheben, keinesfalls aber Potenziale. Wenn Sie einen Persönlichkeitstest als Potenzialanalyse verwenden wollen, lassen Sie sich das Messmodell und die Methodik die für die Erhebung von Potenzialen verwendet wird, genau erklären. Allgemeine Aussagen und Behauptungen ohne ausreichende Begründung und Belege sprechen mehr gegen ein Verfahren als dafür.

2.8 Qualifizierung der Anbieter

Waren früher die Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen für die Entwicklung von Testverfahren hauptverantwortlich, so haben mit der zunehmenden Kommerzialisierung der Psychologischen Diagnostik, Beratungsfirmen diese Aufgabe übernommen. Das hat gute wie schlechte Seiten. Positiv ist sicher, dass Beratungsfirmen mehr Nähe zur Anwendung und Praxis haben und daher den Anforderungen der Unternehmen besser gerecht werden können. Kritisch zu betrachten ist die steigende Tendenz, unwissenschaftliches Pseudo- und Halbwissen gut zu verpacken und mit hohem Marketingbudget und intensiver Marktbearbeitung an Unternehmen und Organisationen zu verkaufen.
Berater für diagnostische Verfahren, haben eine fundierte psychologische Ausbildung und eine mehrjährige Berufserfahrung im Bereich der Personal- und Managementdiagnostik, um so die Hintergründe bzw. Grundlage eines Verfahrens wirklich verstehen zu können. Sie gehen auf Ihre Situation ein und verkaufen nicht nur die eigene Standardlösung.

 

3. Kritische Diskussion der am häufigsten verwendeten Persönlichkeitstests

Nachdem wir jetzt sehr ausführlich Kriterien für die Anwendung von Persönlichkeitstests besprochen haben, stellt sich die Frage: Wie ausgeprägt erfüllen laut Studie am häufigst verwendeten Verfahren, diese Kriterien. Sechs Verfahren (Master Person Analysis MPA, MBTI, DISG Persönlichkeitsprofil, Insights Discovery, Thomas System und Insights MDI) berufen sich auf die Persönlichkeitstypologie von C.G.Jung bzw. auf die Theorie „Emotions of Normal People“ von Marston (1928). In einer Stellungnahme des Berufsverbands deutscher PsychologInnen BDP (Prof. Claudia Eckstaller, Prof. Dr. Erika Spieß und Dipl. Psych. R. M. Woschée) zu einem Gutachten von Prof. Dr. Jäger über Insights MDI wird bestätigt, dass die Typenlehre nach C. G. Jung in Fachkreisen als „antiquiertes Modell ohne empirische Belege“ gilt. Der Ansatz von Marston wird als „typologischer Ansatz ohne empirische Forschung“ bezeichnet“. Die Empfehlung lautet: „es basiert auf theoretisch veralteten und wissenschaftlich ungesicherten Modellen. Von seinem Einsatz bei Personalauswahl und -entwicklung, Coaching und Training muss daher abgeraten werden.“

Die Entstehungsgeschichte eines weiteren Testverfahrens, dem 16-PF (seit 1998 gibt es eine revidierte deutsche Fassung 16-PF-R) geht in die 30er Jahre zurück (Psycholexikalische Studie von Allport & Odbert). Cattell entwickelte darauf aufbauend 1949 den 16-PF (16 Persönlichkeitsdimensionen). Der 16-PF ist ein wissenschaftlich fundiertes Persönlichkeitsinventar, der in vielen Bereichen – auch in der Klinik und der Forschung - eingesetzt wird. Anforderungen der Berufswelt spielten bei der Konstruktion keine Rolle. Das zeigt sich auch bei der Bezeichnung einiger Faktoren (z.B. Wärme, Abgehobenheit, Privatheit, Besorgtheit, Ängstlichkeit) die gegen eine Verwendung als Auswahlverfahren sprechen.

Der Test HDI (Hirndominanzinstrument) beruft sich auf die Erkenntnisse der „modernen Gehirnforschung“ der 70er Jahren und misst “bevorzugte Denk- und Verhaltensstile“ einer Person. Offen bleibt jedoch, welcher Art der Zusammenhang zwischen Denk- und Verhaltensstilen ist. Diese Problematik sowie andere methodische Schwächen ergeben daraus, dass für das Verfahren ursprünglich eine wissenschaftliche Absicherung angestrebt wurde, die jedoch nicht realisiert werden konnte.
Es macht außerdem keine Aussagen, ob und wie weit diese angelegten Talente bereits in Kompetenz verwandelt worden sind und ist daher für den Einsatz als Auswahlverfahren nicht geeignet.

3.2 Rechtliche Problematik von Persönlichkeitstests im beruflichen Kontext

Ergänzend problematisch ist bei (fast) allen Persönlichkeitstests, dass sie so entwickelt wurden, dass die gesamte Persönlichkeit erfasst wird. Rechtlich ist es jedoch festgelegt, dass im Rahmen der Personalauswahl, nur arbeitsspezifisches - und berufsrelevantes Verhalten erfasst werden darf, was die oben dargestellten Verfahren nicht tun.
Darüber hinaus sollten zwischenzeitlich alle Vorgehensweisen, Systeme, auch die Qualifizierung der beteiligen Personen, der DIN 33430 entsprechen. Durch diese DIN erhalten Sie einen Leitfaden, der Ihnen hilft, eine rechtlich einwandfreien und qualitativ zuverlässigen Personalauswahlprozess zu führen.

Fazit

Das Fazit fällt ernüchternd aus. Von den acht am häufigsten verwendeten Testverfahren scheitern acht am ersten Kriterium Theoretischer Hintergrund. Es bestätigt sich in unserer Untersuchung, dass vor allem diese Verfahren weit verbreitet sind, die intensivstes oder gar aggressives Marketing betreiben und die bevorzugt „einfache“ Lösungen anbieten.
Hier sind Personalverantwortliche aufgerufen, zukünftig mehr Aufwand zu betreiben, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Auch im eigenen Interesse. Denn es besteht die Gefahr, dass bei negativen Erfahrungen mit Persönlichkeitstests, dieses Instrument die grundsätzliche Akzeptanz in Betrieben verlieren. Andererseits sind auch die - vor allem aus der wissenschaftlichen Ecke kommenden - Entwickler und Anbieter von Persönlichkeitstests aufgefordert, die Bekanntheit ihrer Verfahren zu erhöhen.

Wir möchten dies aktiv unterstützen und abschließend Verfahren nennen, die wir als Auswahlverfahren (weitestgehend) empfehlen können.

 

Das BIP (Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung) ist ein zeitgemäßes, wissenschaftlich fundiertes und seriöses Verfahren, das speziell für den Einsatz im Berufsleben entwickelt wurde. Es erfüllt (fast) alle der genannten Kriterien. Einschränkungen sehen wir auf Grund der Vorgabe im Bereich „sozial erwünschtes Antwortverhalten“. Darüber hinaus werden etliche Trainings angeboten, die den Umgang bei der Testdurchführung substantiell verbessern sollen.
Für den Einsatz als Potenzialanalyse ist es wegen des dazu fehlenden Messmodells im Hintergrund, nur eingeschränkt als Potenzialanalyse geeignet.
Er entspricht den Kriterien der DIN 33430.

JOBFIDENCE wurde in enger Zusammenarbeit mit der Universität Münster und Düsseldorf entwickelt und verfolgt den Ansatz des „objektiven“ Persönlichkeitstest. Schade ist, dass er das vorhandene Entwicklungspotenzial der Testpersonen nicht erfasst.
Auch er entspricht den Kriterien der DIN 33430.

Auch der CAPTain ist ein Verfahren zur Erfassung der beruflichen Verhaltenskompetenzen. Er ist ebenfalls wissenschaftlich gut abgesichert und erfüllt die Anforderungen der DIN 33430 und der oben beschriebenen wissenschaftlichen Kriterien. Er hat für sich den Anspruch, eine Potenzialanalyse zu sein, was allerdings mit keinem Modell belegt oder mit empirischen Daten erklärt werden kann. Die Auswertung ist schwer durchschaubar und der hohe Umfang an Auswertungsmöglichkeiten verringert die Akzeptanz.
Schade und unnötig finde ich die Behauptung, dass CAPTain der einzige Personaltest sei, der in der Lage wäre, dem Testergebnis, das subjektive Selbstbild gegenüber zu stellen. Das können auch andere Verfahren. Er entspricht auch den Kriterien der DIN 33430

Die WIENER POTENZIALANALYSE (www.lackner.kabas.at) wurde mit der Universität Wien entwickelt und wiederholt evaluiert und misst tatsächlich Potenziale von verschiedenen Zielgruppen (Mitarbeiter, Vertrieb, Führung und Management, Teams). Unsere jahrelange Erfahrung zeigt, dass die Aussagen sehr zutreffend sind und hervorragende Prognosen über die Eignung und die Entwicklung macht. Außerdem basiert die Wiener Potenzialanalyse auf einem Modell, das in der Lage ist, tatsächlich das Entwicklungspotenzial zuverlässig zu erfassen und zu prognostizieren. Mit der Gegenüberstellung des jeweiligen Selbstbildes, können Entwicklungsbarrieren und auch z.B. sogenannte „blinde Flecken“ deutlich gemacht werden, um so die Potenzialentwicklung zu beschleunigen. Darüber hinaus entspricht dieses Online-Verfahren den Anforderungen der DIN 33430.

 

K.O. Kriterien für Testverfahren

  • Theoretischer Hintergrund
    Ist die Grundlage für ein Auswahlverfahren bzw. einer Potenzialfeststellung geeignet?
  • Wissenschaftliche Fundiertheit
    Steht der Test auf einem soliden wissenschaftlichen Fundament?
  • Vorhandene Normen – die Vergleichsgruppe
    Sind Normen für die Zielgruppe vorhanden?
  • Erfüllt das System die DIN 33430?

 

Kriterien die für die Anwendung wichtig sind

  • Übereinstimmung mit Anforderungsprofil
    Werden wirklich die im Anforderungsprofil beschriebenen Dimensionen gemessen?
  • Vorgabe und Auswertung
    Funktioniert die Vorgabe und Auswertung über PC?
  • Multimodaler Ansatz
    Werden andere Verfahren als Ergänzung angeboten?
  • Einsetzbarkeit als Potenzialanalyse
    Kann der Test Potenziale messen?
  • Qualifizierung der Anbieter
    Geht der Anbieter auf Ihre Situation ein bzw. sind auch individuelle Lösungen möglich?

 

Albrecht Müllerschön, April 2021; managementberatung müllerschön


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