Rebellion aus dem Home-Office: Das Dilemma der Führungskräfte
Homeoffice: Fluch oder Segen?
Alle die als Führungskraft oder Mitarbeiter/innen mit dem Home-Office konfrontiert sind, müssen sich unweigerlich mit dem neuen Weg der zukünftigen Arbeit auseinandersetzten. Bei meiner Arbeit als Trainer und Berater höre ich immer wieder, dass Mitarbeiter, aber auch Führungskräfte nicht mehr ins Büro zurück möchten, genauso wie bei meinen eigenen Mitarbeitern.
Die meisten Betriebe wollen wieder zur „alten“ Normalität zurück und rufen Schritt für Schritt ihre Mitarbeiter ins Büro. Doch diese wollen oft nicht mitmachen, auch wenn es angeordnet wird. Möglichkeiten dies zu umgehen, gibt es genügend, was Arbeitgeber und Führungskräfte in ein Dilemma bringt. Sie wollen motivierte Mitarbeiter, aber auch das Wir-Gefühl und die Loyalität zur Firma stärken.
Dass der Druck der Mitarbeiter diesbezüglich auf die Arbeitgeber so schnell wächst, hätte wohl niemand gedacht.
Liebgewonnene Gewohnheiten aufgeben müssen – Wird das möglich sein?
Das „Daily“ im Pyjama durchführen, womöglich aus dem Bett, mittags einen Spaziergang oder Sport statt des Kantinenessens und früh wieder bei der Familie sein, ist verlockend.
Doch dieses Bild von Home-Office wird wohl für die meisten Menschen unrealistisch sein. (außerdem waren in Hochzeiten max. 27 % der Menschen im Homeoffice, die meisten anderen, die davon nicht betroffen sind, wundern sich nur über diese Diskussion)
Es wird argumentiert, dass im Home-Office mehr gearbeitet wird. Studien zeigen allerdings, dass dies nur anfangs zutraf. In der Zwischenzeit sei ein gewisser Ermüdungseffekt eingetreten.
Die Kommunikation leidet definitiv im Homeoffice
Persönliche Interaktion und persönliche Kommunikation schaffen Vertrauen innerhalb einer Gruppe. Im Homeoffice ist dies nur deutlich reduziert möglich.
Studien, ganz voran die von Microsoft zeigen, (Analysiert die eigenen 61.000 Mitarbeiter; in Fachblatt: „Nature Human Behaviour“), dass im Homeoffice die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern aber auch die zwischen den Abteilungen leidet. Demnach verbringen die Mitarbeiter weniger Zeit mit persönlichen Gesprächen, stattdessen nutzten sie verstärkt E-Mails oder vergleichbare Tools. Das führt dazu, dass Mitarbeiter isolierterer sind und deshalb noch weniger Informationen ausgetauscht würden.
Verbundenheit
Ein Aspekt, der durch räumliche Trennung besonders leidet, ist das Wir-Gefühl, das Gefühl der Verbundenheit mit den Kolleginnen und Kollegen. Mitarbeitende fühlen sich bereits nach kürzester Zeit von Team und Unternehmen entkoppelt, ganz besonders dann, wenn die Kommunikation nicht vorbildlich verläuft. Wer remote arbeitet, tendiert gleichzeitig dazu, nur noch beruflich zu kommunizieren, was diesen Effekt noch verstärkt.
Starke persönliche Bindungen entstehen normalerweise durch kurze „Begegnungen“ wie dem Austausch vor Meetings oder an der Kaffeemaschine, was im Home-Office nur bedingt funktioniert.
Ein bis zwei Tage Homeoffice?
Aber was ist dann eine gute Balance von Präsenz am Arbeitsplatz und dem Homeoffice?
Apple bspw. verändert fast wöchentlich seine Homeoffice-Strategie und versucht durch ein iteratives Vorgehen, eine für das Unternehmen passende Lösung zu finden.
Untersuchungen von Prof. Dr. Hannes Zacher, Arbeits- und Organisationspsychologe an der Universität Leipzig, mit 1.000 Mitarbeitern zeigen, dass ein bis zwei Tage Homeoffice pro Woche ideal für die Zufriedenheit und Produktivität seien. In einem solchen Rahmen wäre es möglich, die Kommunikation eben nicht nur digital zu gestalten, sondern auch persönliche Gespräche zu führen.
Die persönlichen Kontakte sind entsprechend diesen Untersuchungen so wichtig, da nach zwei Tagen Home-Office, die Produktivität und die Zufriedenheit über die Distanz zu kommunizieren und sich zu organisieren, abnehme.
Interessant ist auch nach einer Studie von Prof. Zacher, dass früher die Extrovertierten im Vergleich zu Introvertierten diejenigen waren, die sich am Arbeitsplatz wohler gefühlt haben. In der Corona-Zeit zeigt sich, dass die Introvertierten mit dieser Home-Office Situation besser zurechtkommen und die Kommunikation per Video als angenehmer erleben.
(Siehe Interview mit Prof. Zacher in der WirtschaftsWoche: https://www.wiwo.de/erfolg/homeoffice/arbeitspsychologe-erklaert-das-homeoffice-hat-uns-neurotisch-gemacht/27548200.html
(es sei auch betont, dass das „zurück ins Büro“ nur dann wirklich Sinn macht, wenn auch die Kollegen dann auch gleichzeitig im Büro anwesend sind.
Aktuell kennen etliche die Büros eher als leere Geisterstätte, was den Wunsch nach dem Home-Office weiter verstärkt)
Innovation und Bindung in Gefahr
Die Ängste vieler Unternehmer und Führungskräfte sind nachvollziehbar, denn wenn sich Home-Office durchsetzt, verändert das die Arbeitswelt fundamentaler, als man es sich bisher vorstellen konnte.
Es zeigt sich, dass vor allem Tätigkeiten, die Koordinierung erfordern, unter der räumlichen Distanz leiden. Der kompensatorische Kommunikationsaufwand ist hoch. Doch es geht auch nicht nur um Effizienz. Es geht auch darum, dass die Rahmenbedingungen ein innovatives Arbeitsklima zulassen müssen, und das ist voll wirksam nur im persönlichen Kontakt möglich.
Die Microsoft Studie macht auch deutlich, dass durch das Arbeiten von zuhause, die emotional „schwachen Verbindungen“ zu den Kollegen abnehmen. Das sind lose Beziehungen, die es zu Hauf in jeder Organisation gibt. Zudem erschwert das Homeoffice die Möglichkeiten, Menschen neu kennen zu lernen und festigt gleichzeitig die ohnehin schon starken Bindungen zum engsten Kollegenkreis.
Das alles ist zwar gut für die Komfortzone, aber schlecht für den kreativen Output und das Wir-Gefühl. Die Konsequenz ist, dass sich bestehende Gruppen stabilisieren, neue Mitarbeiter im Team jedoch kaum die Möglichkeit zur Integration haben und dadurch insgesamt der Informationsfluss und die Nutzung des vorhandenen Potenzials leidet.
Abgrenzung zwischen Teams mit Konfliktpotenzial
Gleichzeitig konnte Zacher feststellen, dass Teams schneller in Subgruppen zerfallen (Diese Feststellung passt zu den Ergebnissen der Microsoft-Studie), wenn Entscheidungen wenig transparent sind, was auch durch den reduzierten informellen Austausch, schnell möglich ist.
Es zeigt sich, dass Firmen und Führungskräfte darauf achten sollten, dass die Gründe für die unterschiedlichen Entscheidungen, von einerseits jenen, die verpflichtend in der Firma sein müssen und jenen, die auch im Homeoffice sein dürfen/sollen, gut verständlich kommuniziert werden sollten, um Spannungen und Konflikte zu verhindern. Denn es besteht die große Gefahr, dass sich dadurch viele Menschen ungleich behandelt fühlen und sich zwei Lager im Betrieb bilden.
Was ist die Schlussfolgerung? Bloß kein Best Practice!
Alle Entscheidungen die jetzt getroffen werden, sind „Entscheidungen unter Unsicherheit“ und deshalb meist nur vorübergehend.
Jetzt sind schnelle, iterative und kreative Lösungen gefragt, um die zukünftige Arbeitswelt und Arbeitsformen, zu entwickeln, die den unterschiedlichen Interessen gerecht werden.
Machen Sie sich auch bewusst, dass die Zukunft, mit und ohne Homeoffice, mehr Eigenverantwortung aller, der Mitarbeiter und der Führungskräfte abverlangen, um so der wirtschaftlichen Dynamik, der auch gesellschaftlichen Komplexität und den sich ständig veränderten Bedingungen, gerecht werden zu können.
Diese Zunahme der Eigenverantwortung, die mehr Flexibilität, Selbstständigkeit und Kreativität der Mitarbeitenden ermöglicht, entlastet viele Führungskräfte. Vor allem diejenigen, die noch ein hierarchisches Führungsverständnis haben und sich mit der agilen Welt erst noch anfreunden müssen.
Tipp
1. Prüfen Sie Ihre eigene Haltung zu Ihrem Bedürfnis nach Homeoffice. Prüfen Sie, was Ihr persönliche Haltung zu diesem Thema ist und was tatsächlich die Fakten sind.
2. Machen Sie den Präsenz-Arbeitsplatz attraktiv. Es soll sich für die Mitarbeitenden lohnen, in die Firma zu kommen.
3. Tauschen Sie sich mit den Mitarbeitenden und deren Ideen aus. Inspirieren Sie sich gegenseitig.
4. Gehen Sie bei Ihren Entscheidungen zur Zukunft des Homeoffice in Ihrem Betrieb iterativ vor. Es gibt keine fertige Lösung!
5. Bereiten Sie sich mit Ihren Führungskolleginnen und -Kollegen gemeinsam vor: „Was sind unsere Argumente und was ist unsere Strategie, warum etliche Mitarbeiter ins Homeoffice dürfen bzw. bleiben können.
Albrecht Müllerschön, managementberatung müllerschön